Ein Thema mit viel Diskussionsbedarf: Customer Onboarding im Rahmen von Customer Experience Management. Bevor wir ins Thema einsteigen ein herzliches Danke an Dr. Maxie Schmidt, Principal Analyst Customer Experience, Forrester für die wertvollen Anregungen, Impulse und Diskussionen zu diesem Beitrag.
Customer Onboarding ist eine erfolgskritische Journey. Es kann Unternehmen dabei helfen, die Beziehung zu ihren Kunden zu verbessern und langfristig zu erhalten; es kann aber auch dafür sorgen, dass eine Kundenbeziehung endet bevor sie richtig begonnen hat. Fangen wir zunächst mal mit dem Begriff Onboarding an. Streng genommen hat das Customer Experience Management diesen Begriff aus dem Personalmanagement geborgt. Im HR steht Onboarding für einen strukturierten Prozess, neue Mitarbeiter systematisch einzuarbeiten und sie bei den ersten Schritten wirksam zu unterstützen. Bei neuen Kunden oder Kunden, die ein neues Produkt, eine neue Dienstleistung erwerben, sind die Anforderungen vergleichbar. Es geht darum, den Kunden an die Hand zu nehmen, ihn Schritt für Schritt fit zu machen, so dass er das neue Smartphone, seinen digitalen Bank Account schnell nutzen kann und alle für ihnen nützlichen Funktionen und Leistungsmerkmale kennt und beherrscht. Die Frage, die sich relativ schnell stellt: „Wieso ist Onboarding jetzt so ein Hype Thema?“ Eine Antwort darauf lautet: Die Produkte und Services sind komplexer geworden; bevor ein Kunde heute sein neues E-Auto richtig geniessen kann, hat er viele neue Dinge zu lernen. Wie kann ich zuhause eine Wallbox anschliessen? Muss ich die Wallbox dem Netzbetreiber mitteilen, bzw. genehmigen lassen? Wo kann ich unterwegs laden? Benötige ich eine App dazu? Muss ich die App mit meinem Bankkonto verbinden? Ein E-Auto ist vernetzt mit anderen Services, Apps, etc. Dazu kommen neue Kenntnisse zu Akkuladezeit, Ladegeschwindigkeit,… Was für E-Autos gilt, gilt auch für den Glasfaser Anschluss zuhause. Statt Wallbox geht es um Router, Mesh-WLAN, Media Receiver,… Wir können die Beispielliste sehr lange fortsetzen. Auch technisch affine Kunden kommen hin und wieder an Verständnisgrenzen. Und damit kommen wir zum zweiten Grund warum Onboarding so en vogue ist. Produktmanager liefern schlampige Arbeit ab. Die Produkte sind vollgepackt mit Funktionen, englischen nichtssagenden Begriffen. Mein Fernseher hat OLED- & Quantum Dots-Technologie. Und noch viel mehr. Keine Ahnung was das ist, aber vielleicht hat sich jemand im Produktmanagement gedacht, dass mich das beeindruckt. Mein Fernseher kann noch viel mehr; das meiste werde ich zeitlebens nicht nutzen, weil ich nicht weiss, was diese Funktion bringt, wie es genutzt wird und – und das ist noch wichtiger – wie ich es im Zweifel wieder ausschalten kann. Damit nicht genug: Die Bedienungsanleitung ist von einem Techniker geschrieben, der Null Einfühlungsvermögen für die Kunden des Fernsehers hat. Und um der Sache die Krone aufzusetzen sind die Illustrationen dergestalt, dass man denkt es handelt sich um verschlüsselte Botschaften eine Geheimdienstes, die sich in die Anleitung verirrt haben.
Kleiner Einwurf an dieser Stelle. Wie man Aufbauanleitungen kundenorientiert gestaltet, zeigt LEGO seit vielen Jahren. Schritt für Schritt, so dass selbst Erwachsene den Millenium Falken bauen können.
Onboarding: Damit aus den ersten Schritten nicht die letzten werden
Diese Mischung aus vernetzten, komplexen Produkten und Fehlern im Produktmanagement sind der Grund warum sich Unternehmen ganz ernsthaft und intensiv mit Onboarding beschäftigen müssen. Um eins gleich vorweg zu nehmen. Für CX ist Onboarding deshalb so wichtig, weil dieser Schritt am Ende einer Phase in der Onboarding Journey prägende Wirkung hat. Seit den Studien und Untersuchungen von Daniel Kahnemann kennen CX Verantwortliche den Begriff Peak End Impression. Der letzte Eindruck hat das stärkste Gewicht auf die Beurteilung durch den Kunden in dieser Phase der Customer Journey. Wenn es ganz dumm läuft, ist es auch das Ende der Kundenbeziehung, weil der Kunde das Produkt zurückgibt oder den Service storniert. Je nach Verärgerung und Misserfolg bei den ersten Schritten mit dem neuen Produkt, kommt noch entsprechende Bewertung auf Portalen, Social Media Accounts hinzu.
Was heisst das konkret für die Unternehmen.
Erster Schritt: Lernen Sie Ihre Kunden kennen – in Echt - nicht aufgrund von aggregierten Studien
Am Anfang steht der Kunde mit seinen Bedürfnissen. Welches Problem will er mit dem Service, Produkt lösen. Mit dem Job-to-be-done Ansatz ließen sich schon die ersten Denk- und Konzeptfehler im Produktmanagement eliminieren. Das wäre sozusagen Schritt 0 vor dem hier skizzierten ersten Schritt; den wir hier in diesem Beitrag nicht weiter erörtern.
Es gibt aber noch andere Methoden um näher an den Kunden und die Art und Weise wie er ein Produkt auspackt, einschaltet und in Betrieb nimmt, heranzukommen.
- Shadowing
Wenn man Kunden einen Beobachter an die Seite stellt, der im täglichen Leben dem Kunden einfach über die Schulter schaut, kann das schon „augenöffnend“ sein. Der Beobachter, als Schatten des Kunden, ist keine billige und schnelle Methode um zu lernen wie Kunden z.B. eine IKEA Kommode aufbauen. Man muss geeignete Kunden finden, sie briefen, den Nutzen erklären, eine attraktive Gegenleistung für den Aufwand anbieten, gut zuhören, zusehen können, auswerten,… Nicht für alle Produkte und Dienstleistungen geeignet aber extrem nah an der Lebenssituation des Kunden. Für manche Vorstände, Geschäftsführer eine Offenbarung wenn sie einen Tag mit dem neuen Besitzer des neuen E-Autos verbringen und einfach aufmerksam beobachten wie der Kunde seine ersten Schritte unternimmt. Wo es Fragen gibt, Irritationen auftreten usw.
- Kunden befragen und zuhören
Sie mögen sich verwundert die Augen reiben ob dieser scheinbar trivialen und banalen Aussage. Ich meine ein ernsthaftes Zuhören, hinterfragen und verstehen wollen. Das es hier mangelt, möchte ich an einer kleiner Geschichte verdeutlichen. Als Marketing Manager von Dell hatte ich Ende der 80 er Jahre die Herausforderung PC´s in Deutschland an Unternehmen gegen eine übermächtig erscheinende Konkurrenz zu vermarkten. Beim Markteintritt war Dell der David gegen eine Heerschar von IBM, Compaq, HP und vielen anderen Goliaths. Bei den ersten größeren Verkaufschancen haben wir nach jedem „Verlust“ mit jedem Unternehmen intensiv gesprochen, warum es sich gegen Dell entschieden hat. Ein Unternehmen, genauer gesagt die beiden Verantwortlichen des Benutzerservices gaben uns eine verblüffende Antwort. Da die beiden bereits älteren Angestellten Rückenprobleme hatten, konnten Sie die Tower Gehäuse nicht – oder nur mit großer Mühe – aus den Kartons heben. Wenn also eine Bestellung von 50 PC´s ausgepackt und installiert werden musste, war dies ein enormer Kraftakt. Das Problem waren nicht unsere PC´s, der Preis oder, oder. Es war der allererste Schritt im Onboarding. Ich kürze die Geschichte ab. Wir haben die Verpackung so geändert, dass der Deckel gleichzeitig als Rampe diente, am PC selbst gab es eine Griffmulde, die Schaumverpackung wurde ersetzt. Fazit. Die Mitarbeiter konnten mit einem Finger den PC aus der „Garage“ fahren. Leicht anheben, über die Rampe fahren, fertig. Ein neuer Onboarding Prozess, der ohne den Input des Kunden, den ernsthaften Dialog nicht möglich gewesen wäre. Und ja, die nächsten Aufträge hat Dell gewonnen.
Zweiter Schritt: Anleitungen, Installationsanweisungen: Vom Einfachen zum Schwierigen und mit mehr Liebe zum Detail
Es reicht, wenn das Produkt komplex ist; die Installationsanweisung, das Handbuch muss einfach sein. Produktmanager haben auch die Verantwortung für Manuals, Aufbauanleitungen und nicht nur für das eigentliche Produkt oder den Service. Zumindest ist das meine Auffassung. Und hier muss es genau wie für das Produkt auch für die Gebrauchsanweisungen und Co. ein Qualitätsmanagement und einen Freigabeprozess geben. Lesbarkeit, Verständlichkeit, das ganze Programm. Mit mindestens so viel Liebe zum Detail wie zum Produkt. Apple ist für mich bei einigen Produkten immer noch ein Vorbild. Steve Jobs war ein konsequenter Verfechter von kundenzentriertem Produktdesign. Mit Design ist hier nicht die Form gemeint, sondern vor allem die Bedienbarkeit. Um es für den Kunden einfach zu machen, muss man manchmal hart arbeiten und nachdenken. Gutes benutzerfreundliches Design fällt nicht vom Himmel sondern ist das Ergebnis einer sehr konsequent gelebten Philosophie im Produktmanagement. Zu der auch zählt, das man bei Anleitungen, etc didaktisch vorgehen muss. Vom Einfachen zum Schwierigen, Schritt für Schritt, verpackt in kleine Häppchen, anschaulich illustriert. Wer Anregungen sucht, schaut sich gerne noch mal eine LEGO Anleitung an.
Auspacken des iPod shuffle. Bildquelle: https://www.youtube.com/watch?v=IVlFlSRut1g&loop=0
Das Handbuch, die Aufbauanleitung ist fast schon ein eigenes kleines Produkt. Welches ausgiebig getestet, qualitätsgeprüft und vom Management freigegeben werden muss, bevor es in die Verpackung zum Produkt darf.
Hilfreich für ein gutes Onboarding ist der Blick über den Tellerrand zu anderen Disziplinen im Unternehmen oder Technologien, die sich nutzbringend einsetzen lassen. Nachfolgend zwei Beispiele ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
- POKA YOKE und Onboarding: Zwei die zusammen gehören
Poka Yoke ist ein Bestandteil des Toyota Produktionssystem und bedeutet „unglückliche Fehler vermeiden“. Fehler passieren auch den besten Kunden. Poka Yoke hat das Ziel, es schwer oder unmöglich zu machen, einen Fehler zu begehen. Das geht manchmal durch einfache Mittel oder Konstruktionen wie z.B. unterschiedliche Größen oder Farben für unterschiedliche Anschlüsse an meinem WLAN Router. Der blauer Stecker passt nur auf den blauen Anschluss, der rote nur auf den roten Anschluss. Für das Onboarding lässt sich mit der POKA YOKE Methodik so der Stress und die Aufregung beim Aufbauen und Inbetriebnehmen erheblich reduzieren. Natürlich passt diese Methode nicht auf alle Produkte und Services; dennoch bin ich überzeugt, dass das Potential bei weitem nicht ausgeschöpft wird.
- Augmented Reality: Die besseren Manuals
Bei meinem neuen E-Auto hatte ich nach der 1-stündigen Einweisung vieles nach dem ersten Tag wieder vergessen. Wie schalte ich den Parksensor beim Vorwärtsfahren ein? Wie aktiviere ich das Head Display? Wo kann ich zwischen ECO, Normal und Sportlich den Fahrmodus wechseln? Überhaupt wird beim Onboarding oft zu kurz gesprungen. Produkte und Services mit vielen Funktionen benötigen nach dem ersten Onboarding im Lauf der Zeit entweder eine Wiederholung des bereits gelernten oder weitere Unterstützung für bis dato noch nicht genutzte Funktionen. Ersteinweisungen, Handbücher etc sind ohnehin für das Onboarding problematisch. Sie werden vergessen und im Fall der Handbücher sind sie nicht besonders motivierend. So macht das Kennenlernen der Produkte keinen Spass. Produktmananger müssen gute Pädagogen werden und sich mit den Themen „Wie lernen und vergessen Menschen“ intensiver beschäftigen. Technologie in Form von Augmented Reality wird z.B. noch zu zaghaft eingesetzt obwohl es im Onboarding genügend Anwendungsfälle gibt, die praxiserprobt sind. Für mein E-Auto wäre eine solche App mehr als nützlich. Mit dem Smartphone auf das Armaturenbrett gehen und die App zeigt mir wo das Head-up Display ist und mit dem kurzen Video höre und sehe ich, wie ich es einschalten und nutzen kann. Onboarding on demand. Dann wenn der Kunde es benötigt; dann aber auf den Punkt, unterhaltsam und zielführend.
Augmented Reality Manuals, Bildquelle: TechSee
Dritter Schritt: Messen, Messen, Messen und klare Verantwortlichkeiten benennen
Relativ einfach ist die Messung des Onboarding Prozesses bei Apps, Software,… Hier sind die digitalen Messpunkte, die Fortschrittskontrolle einfacher zu implementieren. Customer Analytics, Kundenbefragungen können ebenfalls wertvolle Informationen liefern; wobei die inflationäre Nutzung von Kundenbefragungen viele Kunden eher abschreckt, eine Rückmeldung zu geben. In jedem Fall sollte das Unternehmen darüber nachdenken, die Ergebnisse des Onboardings in die Zielvereinbarungen – z.B. der Produktmanager – aufzunehmen. Heisst, der Produktmanager wird daran gemessen, wie gut oder wie schlecht der Onboarding Prozess verläuft. Andernfalls wird die Verantwortung hin und her geschoben und letztlich ist niemand für das Ergebnis verantwortlich. Die beiden letzten Sätze verdeutlichen auch meine Auffassung, wo der Onboarding Prozess organisatorisch verankert sein sollte. Bitte nicht noch eine neue Stelle dafür schaffen. Ich sehe es kritisch die Verantwortung dafür nur im Customer Success Management zu sehen. Es kann dazu führen, dass sich Produktmanager aus der Verantwortung stehlen, weil der Customer Success Manager ja in der Verantwortung steht. Wichtig ist in jedem Fall den betriebswirtschaftlichen Bezug des Onboardings zu den übergeordneten Kennziffern herzustellen. Wiederkaufrate, Stornoquote, Servicekosten, Deckungsbeitrag,… Onboarding ist kein Selbstzweck; je besser ein Unternehmen diesen Abschnitt der Customer Journey im Griff hat, desto mehr erspart es sich vermeidbare Folgekosten durch Nachschulungen, Kundenservice,.. Und mit einer hohen Wahrscheinlichkeit ist die Bereitschaft der Kunden größer, das Nachfolgeprodukt wieder bei diesem Unternehmen zu kaufen.
Vierter Schritt: Kontinuierlichen Verbesserungsprozess und einen Feedbackloop implementieren
Auch hier lehne ich mich an Erkenntnisse und Verfahren aus der Produktion an. Im Customer Experience Management befragen und analysieren wir zwar Kundenmeinungen, geben aber selbst den Kunden viel zu selten eine Rückmeldung. „Was haben wir von den Anregungen umgesetzt? Was wollen und werden von den Ideen berücksichtigen?“ Kunden sind ideale Ideengeber wenn wir Ihnen mit Wertschätzung begegnen. Zur Wertschätzung gehört, dem Kunden eine Rückmeldung zur Rückmeldung zu geben. Feedbackloop statt nur Feedback einholen. Was ich vermisse ist ein systematisch implementierter, kontinuierlicher Verbesserungsprozess, wie man das aus der Produktion kennt. Systematisch lässt sich so etwas auch in einer Community realisieren. Bosch betreibt und moderiert eine Community für Smart Home; https://community.bosch-smarthome.com/ Diskussion, Austausch, Fragen zu den Themen rund um das Thema Smart Home. Für unser Thema Onboarding spielt eine solche Community eine bedeutende Rolle.
Smart Home Community von Bosch, Bildquelle: https://community.bosch-smarthome.com/
Hier erklären Kunden anderen Kunden wie man was installiert, worauf es ankommt, etc. Meist in einer Sprache, die für Kunden verständlicher ist, als wenn ein Produktmanager dies formuliert. Kunden helfen Kunden, Kunden geben Anregungen zu Produktverbesserungen, Kunden schreiben selbst kleine Installationsanweisungen, etc. Unentgeltlich wohlgemerkt. Wenn die Verantwortlichen die Beiträge analysieren, erhalten sie eine Fülle von Anregungen wie sie den Onboarding Prozess für ihre Produkte verbessern können. Ideen für Produktverbesserungen inklusive. Communities müssen moderiert, mit Content gefüttert werden; das sind Kosten die leider oft unterschätzt oder aber gescheut werden.
Fazit: Customer Onboarding ist ein Thema, welches im Kontext von Customer Experience Management mehr in den Fokus der Unternehmen gerückt ist. Das ist gut so. Wer sich mit dem Thema näher beschäftigt stellt schnell fest, dass es viel Potential birgt aber auch zugleich ein arbeitsintensives Feld ist.
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Harald Henn ist Geschäftsführer der Marketing Resultant GmbH in Mainz, Deutschland.